Skip John Jahr im Interview vor EM und Olympic Qualifier
vom 01.10.2013
„Müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht ein Wörtchen mitreden könnten!“


Vom 10. bis 15. Dezember spielt das Herrenteam des Curling Club Hamburg in Füssen für Deutschland um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Sotschi. Im Verbund mit Felix Schulze, Sven Goldemann, Christopher Bartsch und Peter Rickmers ist Skip John Jahr mit Abstand der erfahrenste Curler. Der Hamburger erzählt im Interview über die völlig neue Herangehensweise an diese Olympiasaison, die Erwartungen ans Team und die Veranstaltung.

Gibt es für Sie und Ihr Team in diesem Jahr nur das eine große Ziel Olympia-Qualifikation?
„Ich sehe die Europameisterschaft in Stavanger ebenfalls als ganz wichtig an. Wir brauchen im deutschen Curling den Ansporn für die heranwachsenden Teams, dass wir mit dem Nationalteam in der A-Gruppe der Europameisterschaft spielen. Aus diesem Keller wieder hoch zu krabbeln, ist absolut kein Selbstgänger. Da sind drei, vier sehr starke Teams mit in der B-Gruppe. Deswegen ist die EM ein ganz wichtiger Punkt in der Vorbereitung. Wir müssen in Stavanger schon die gleiche Haltung an den Tag legen wie später bei der Olympia-Qualifikation!“

Sie haben eine sehr aufwändige Vorbereitung betrieben, die quasi im Sommer begonnen hat…
„Die Situation war schon sehr neu für uns. Normaler Weise haben wir in Ham-burg erst ab dem letzten September-Wochenende Eis in der Halle, haben die Saison in den Vorjahren stets am dritten September-Wochenende in Oslo begonnen. Das war alles nun ganz anders. Schon im August haben wir zwei Lehrgänge in Füssen gehabt – also quasi mitten im Sommer. Dort haben wir mit Bundestrainer Martin Beiser die Basics absolviert und dann auch schon früh ein Turnier in der Schweiz besucht. Zudem haben wir es organisiert, dass in der CCH-Halle bereits ab Anfang September Eis war. Das ist ein ordentlicher Kostenfaktor, aber wir haben beschlossen, dass wir das so machen wollen. Insofern sind wir zurzeit auf einem Level, das wir in den Vorsaisons vielleicht erst Ende Oktober, Anfang November hatten!“

An was haben Sie denn zum Beispiel „geschliffen“?
„Wir haben mit dem Bundestrainer viel Techniktraining gemacht. Du verlierst dein Spiel zwar nicht über den Sommer, aber es wird von vielen Kleinigkeiten bestimmt, die sich sehr stark auf das Endergebnis auswirken können. Dabei hat jeder im Team andere Details, an denen er arbeiten muss. Wir arbeiten jetzt mit einem genialen Computerprogramm, das es als App gibt, mit dem jeder einzelne Stein erfasst wird. Damit werden die Schwächen im Team sehr deutlich. So etwas hilft enorm!“

Sie sprechen von ‚vielen Schrauben’ an denen gestellt wurde…
„Ja, in Prag haben wir zum Beispiel intensiv mit dem Sport-Psychologen Thorsten Weidig gearbeitet, haben mit ihm viel analysiert und Einzelgespräche geführt. Außerdem haben wir hier vom Olympia-Stützpunkt nicht nur das Athletik- und Aufwärmprogramm optimiert bekommen, sondern auch eine Ernährungsberatung erhalten. Da ging es um Aspekte, die sich im Wettkampf auf den Organismus auswirken. Insgesamt ist in unserem Umfeld vieles professionalisiert worden. Wir haben auch viel Fitness gemacht. Ich zum Beispiel schwimme jetzt jeden Morgen 1.000 Meter. Das ganze ging im Mai los, nachdem klar war, dass wir das Team sind, das für Deutschland die EM und den Olympia-Qualifier bestreiten darf.“

Wie sieht die Teamkonstellation für diese Olympiasaison aus?
„Wir haben eine ‚Vier plus Eins’-Vereinbarung, wobei bei uns Peter Rickmers nicht der klassische fünfte Mann ist, der nur im Verletzungsfall zum Einsatz kommt. Er hat bei allen Turnieren, bei denen er mit war, auch mal gespielt, weil es einfach auch wichtig ist, dass er voll im Saft steht, falls er einspringen muss. Zudem ist Peter unser ‚Brain’. Er spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Analyse, macht das großartig und hilft uns damit enorm.“

Ist es eine komische Situation, dass Sie nun ausgerechnet in Füssen, im ‚Wohnzimmer’ des Hauptkonkurrenten um den deutschen Startplatz im Rennen um die Olympischen Spiele, um das Sotschi-Ticket antreten werden?
„Wir sind froh, dass das Turnier in Füssen stattfindet. Wir hätten ja sonst eventuell auch nach Japan reisen müssen. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Konkurrenzsituation zwischen uns und dem Team Allgäu für dieses Turnier überhaupt keine Rolle spielt. Da treten wir für Deutschland an! Und Füssen ist für uns eine ganz vertraute Wettkampfstätte. Da kennen wir jede Ecke. Einen Wettbewerbsvorteil wird es dennoch nicht geben, weil das Eis in der großen Arena ja erst drei Tage vor dem Turnier gemacht wird und wir – wie alle anderen – auch nur einen Tag haben, darauf zu trainieren. Wichtig ist, dass es richtig gutes Eis wird, denn damit steht und fällt die Qualität des Spiels.“

Sie reden vom großen Aufwand bis zum Qualifier, aber wenn Sie die Quali schaffen, kommen ja noch mal ganz intensive Wochen bis zu den Spielen…
„Es ist wirklich ein richtig intensives Programm bis Weihnachten, auf das wir uns eingelassen haben. Wenn es dann mit Sotschi und den Olympischen Spielen klappen sollte, dann ist die weitere Vorbereitung im Januar zwar auch noch einmal intensiv, aber ja auch pure Freude. Es war eine gute Entscheidung, dass bereits im Frühjahr ausgespielt wurde, wer Deutschland vertritt. Dadurch konnte man sich nicht nur zeitlich damit arrangieren, sondern auch die Motivation, die sich über den Sommer aufgebaut hat, war ganz wichtig. Bei einer Ausscheidung im Oktober ist das alles viel zu kurzfristig. Ich hoffe, dass das in Zukunft ähnlich gehandhabt wird.“

Spukt die mögliche erste Teilnahme an Olympischen Spielen im Hinterkopf bei Ihnen immer schon mit herum?
„Natürlich hat man sich mit dem Thema schon befasst, weil wir ja auch bereits die ganzen Applikationen für Sotschi ausfüllen mussten, für den Fall, dass wir die Qualifikation schaffen. Aber ansonsten ist das völlig nebensächlich. Es geht jetzt darum, die Form zu bekommen. Wir wollen jedes Turnier gut spielen. Ergebnisse sind dabei zweitrangig. Wir müssen so viele Fehler ausmerzen wie möglich. Und das geht nur, wenn man viele Turniere spielt, weil die nicht im Training offensichtlich werden, sondern im Wettkampf. Es sind noch fünf große Turniere bis zur EM – vier WCTE-Turniere und der Große Preis von Basel.“

Das beste Curling weltweit wird in Kanada gespielt. Werden Sie auch dort an Turnieren teilnehmen?
„Es wurde kurz darüber nachgedacht, nach Kanada zu gehen, aber das hätte nur Sinn gemacht, wenn wir drei Wochen und länger hätten bleiben können, und das war zeitlich einfach nicht leistbar. Zudem treffen wir Gegner, wie Tschechien oder Frankreich, die wir beim Olympia Qualifier vor der Nase haben, beziehungsweise Holland, Ungarn, England oder Spanien, die uns bei der EM begegnen, viel eher in Europa bei den Turnieren.“

Mit 48 Jahren wären Sie vermutlich der älteste deutsche Olympionike…
„Ich vermute, dass ich dann vielleicht sogar der älteste Aktive überhaupt in Sotschi wäre. Aber das Alter interessiert überhaupt nicht. Und Olympia streiche ich eh zurzeit aus meinen Gedanken, weil der volle Fokus auf die intensive Zeit bis Weihnachten gesetzt wird.“

Zuletzt hatten Sie mit Ihrem Team auf internationaler Bühne bei EM und WM nicht allzu viel Glück…
„Wir haben das natürlich analysiert. Die EM 2011/2012 haben wir beileibe nicht schlecht gespielt. Es soll keine Ausrede sein, aber bei der WM 2012 waren wir durch eine Grippe schon stark geschwächt. Zudem haben wir in fünf, sechs Spielen erst mit dem letzten Stein verloren. Soll heißen: So weit weg von der Weltspitze fühlen wir uns nicht. Und mit der intensiven Vorbereitung, die wir jetzt abgeleistet haben, müssen wir einfach noch einmal einen Schritt gemacht haben! Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir um den Aufstieg in die EM-A-Gruppe und die Vergabe der Olympia-Tickets nicht ein gehöriges Wörtchen mitreden könnten!“

Wie schätzen Sie zum jetzigen Zeitpunkt die Konkurrenz für die Olympia-Qualifikation ein?
„Während es bei der EM etwa vier, fünf starke Teams gibt, sind die Mannschaften, die den Olympia-Qualifier mitspielen, wirklich ohne Ausnahme richtig gut. Die haben alle mindestens schon einmal eine WM mitgespielt. Die Tschechen zum Beispiel waren zuletzt EM-Dritter und EM-Vierter. Frankreich hat ein ganz hohes Niveau. Die USA sind so stark, dass sie sich wahrscheinlich selbst gewundert haben, dass sie in den Qualifier müssen. Neuseeland ist gut, aber etwas inkonstant. Japan und Korea sind technisch unglaublich präzise – da ist nur die Frage, ob sie die Wettkampferfahrung haben. Und Finnland hat ebenfalls die letzte WM gespielt, ist aktueller Aufsteiger in die EM-A-Gruppe. Wir wissen, dass wir jedes dieser Teams schlagen können. Aber auch, dass wir gegen jede Mannschaft verlieren können, wenn wir unter unserem Niveau spielen. Deswegen ist Fehlervermeidung das A und O. Wir spielen jetzt nicht so viele Turniere, um dort zu gewinnen, sondern um durch gute Analyse unserer Schwächen und deren Ausmerzung Ende November, Anfang Dezember das absolute Leistungshoch zu erreichen!“
TERMINE
2017
09. Februar
Olympische Winterspiele 2018
in PyeongChang (KOR)
03. März
World Junior Championships
in Aberdeen (SCO)
09. März
Paralympische Spiele 2018
in PyeongChang (KOR)
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